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Arche Noah
Aktuelles von Bilzingsleben

Quelle:
Thüringer Allgemeine, 28.09.2002

Während 33 Jahren legte Dietrich Mania bei Bilzingsleben einen einmaligen Lagerplatz des Urmenschen frei. Im März 2003 wird der Forscher pensioniert. Obwohl bereits ein Nachfolger berufen wurde, ranken sich um die Zukunft der als Kandidat für das Weltkulturerbe gehandelten Fundstelle viele Fragezeichen.

Zeichen und Zeugen der Sündfluth, daran bestand für Diakon David Sigmund Büttner bereits anno 1710 kein Zweifel, ließen sich entlang der hügeligen Hainleite zuhauf finden. In jenem Jahr gab der Geistliche ein Buch heraus, in dem er bey dem Lichte natürlicher Weißheit etliche Fossilien in Wort und Bild beschrieb. Besonders angetan hatte es ihm ein in einem Bilzingslebener Steinbruch gefundener ungemein großer Kinnbacken mit Zähnen - vermutlich der Kiefer eines Waldelefanten.

Als Büttners Buch erschien, steckten die Naturwissenschaften noch in den Kinderschuhen. Charles Darwin etwa, Begründer der Abstammungslehre, wurde erst 99 Jahre später geboren. Gedanken, dass es zwischen Affen und Menschen ein Bindeglied gab, verboten sich (noch) von selbst. Der Mensch war ein Geschöpf Gottes - und gelegentlich wohl auch des Teufels, weshalb man zu Büttners Zeiten noch immer Scheiterhaufen lodern ließ. So dürfte der Diakon nicht mal erahnt haben, dass die Steinrinne weit mehr als nur die Überreste der ehemahls Thiere und Gewächse barg. Doch ehe auch diese Erkenntnis reifte, sollten noch 259 lange Jahre vergehen.

1969 begab sich Dietrich Mania nach Bilzingsleben, um im dortigen Travertin (mineralischer Kalk) nach Spuren klimatischer Veränderungen während des Eiszeitalters zu suchen. Dabei stieß er in einer etwa 370000 Jahre alten Schicht auf Faustkeile - behauene Werkzeuge aus Stein. Der Forscher war wie elektrisiert: Bislang gab es noch keinen einzigen Nachweis dafür, dass Mitteleuropa so frühzeitig vom Urmenschen besiedelt gewesen war...

Seither grub Mania nicht nur 27 Schädelknochen, einen Unterkiefer und 8 Zähne des Urmenschen aus, sondern legte auch einen komplexen Lagerplatz des Homo erectus frei. 3 Hütten schmiegten sich hier einst an das Ufer eines Sees. Nahebei befanden sich Feuerstellen, ein mit einem Amboss versehener Arbeitsplatz sowie eine Halde mit Abertausenden Knochen von Elefanten, Nashörnern, Pferden, Hirschen, Bibern... Hochrechnungen der Jagdbeute legen nahe, dass die urmenschliche Familie mehr als 20 Jahre sesshaft geblieben ist.

Zudem stieß der Paläontologe auf Hinweise, dass die vermeintlich wilden Gesellen zu kulturellen Leistungen fähig waren. So deutet Mania einen mit systematisch eingravierten Strichen übersäten Knochen als das Festhalten eines Gedanken. Ein älteres "Schriftstück" wurde auf Erden noch nie entdeckt.

PUZZLE AUS DER URZEIT: Die in Bilzingsleben gefundenen Knochentrümmer (gepunktet) passen in den Schädeltypen des zuvor in Tansania (Ostafrika) entdeckten Homo erectus.

Während renommierte Wissenschaftler längst die Aufnahme der in ihren Augen sensationellen Ausgrabung ins Weltkulturerbe angeregt haben, mauern im Freistaat sowohl das Wissenschaftsministerium als auch die zuständige Fachbehörde (TA berichtete). Professor Dietrich Mania plagen freilich längst andere Sorgen. Im Januar feiert der an der Universität Jena bestallte Paläontologe seinen 65. Geburtstag - was im März zwangsläufig die Pensionierung des von seiner Arbeit durch und durch beseelten Ausgräbers nach sich zieht. Zwar hat die Universität inzwischen einen Nachfolger berufen, doch die Kontinuität der wohl noch Jahre andauernden Grabung steht gleich aus mehreren Gründen in Frage.

Da ist zum einen der Nachfolger selbst. Clemens Pasda, der derzeit an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig ist, hat den Ruf noch nicht angenommen. Das sei, so kommentiert ein Sprecher der Universität Jena, in Forscherkreisen keineswegs unüblich. Man verhandele um Etats, Mitarbeiter und Lehrverpflichtungen - und das könne mehrere Monate währen. Pasda selbst lehnt wegen des noch offenen Ausgangs eine öffentliche Stellungnahme ab. Genauere Pläne, wie es mit Bilzingsleben weitergehen soll, so der Archäologe, werde er erst im Laufe des nächsten Jahres entwickeln können.

Das wird unter Umständen aber bereits zu spät sein. Mit Manias Pensionierung endet automatisch die Förderung der Grabung durch die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft). Deren finanzielle Unterstützung ist, obwohl sie einem universitären Projekt gilt, grundsätzlich personenbezogen. Pasda kann also erst nach Ruf-Annahme die Fortsetzung der Förderung beantragen. Die sich anschließenden Gutachterverfahren dürften Monate dauern. Ein längerer Stillstand der Grabung ist somit nicht unwahrscheinlich.

Damit nicht genug, läuft bereits Ende 2002 jener Leihvertrag mit Sachsen-Anhalt aus, der bislang den Verbleib eines Großteils der Funde in Thüringen sichert. Hintergrund ist die erst nach der „Wende" korrigierte Zugehörigkeit Bilzingslebens zum DDR-Bezirk Halle. Besitzer der bis 1992 gemachten Funde - drei Viertel aller Stücke - ist deshalb das dortige Landesmuseum für Vorgeschichte. Wie vertrackt die Situation ist, zeigt sich am drastischsten bei den zwei aus Knochensplittern rekonstruierten Köpfen. Die „Demarkationslinie" zwischen den Bundesländern verläuft quer über beide Schädel.

Für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung der Fundstelle wäre es von größter Wichtigkeit, dass die Originale verfügbar bleiben. Ein neuer Leihvertrag muss also her. Eigentlich, so sagt Sachsen-Anhalts Landesarchäologe, Harald Meiler, sei das nur eine Formsache. Er stelle de facto nur eine Bedingung: Das Material müsse für alle Beteiligten zugänglich bleiben. Und genau das ist das Problem.

Alle Beteiligten, das schließt selbstredend auch jenen Mann ein, dessen Lebenswerk von manch konkurrierenden Kollegen in letzter Zeit fintenreich heruntergespielt wurde: Dietrich Mania. Für Melier ist es eine Frage des Anstandes, diesen „glänzenden Wissenschaftler, der zu den besten Paläontologen der Welt gehört", weiterhin einen ungehinderten Zugang zu allen Fundstücken zu ermöglichen. Die Thüringer Landesarchäologin, Sigrid Dusek, pflicht ihm bei. Jahrelang hatten sie und Mania über Kreuz gelegen, doch jetzt, auch Dusek geht in Rente, glätten sich die Wogen. Erst vor wenigen Wochen hat der Paläontologe die seit langem geforderte Ausgrabungsdokumentation bei ihr abgeliefert. Die Dinge sind geordnet, freut sich Dusek, sie achte seine wissenschaftliche Arbeit.

Er habe, so postulierte Diakon Büttner anno 1710, all die Zeichen und Zeugen der Sündfluth bey dem Lichte natürlicher Weißheit betrachtet. Ein Satz, der sich wie kein anderer dazu eignet, die Grabungsgeschichte der Steinrinne fortzuschreiben.

Miro KRÜGER

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letzte Änderung: 27. August 2004, © ungerweb